Kennst du das auch? Man macht einen Plan und gerät dann in den Flow. Wenn man daraus auftaucht, ist man ganz woanders gelandet… So ging es mir einmal mit einem Bild, für das ich mir eine Farbstimmung in gedeckten und kühlen blau und grau Tönen vorgenommen hatte. Allerdings hatte ich den Plan ohne die Sonne Apuliens gemacht.
Das war der Plan
Ich liebe die Nordsee. Schon immer. Als Kind verbrachte ich dort meine Sommerferien. Ich habe sehr schöne Erinnerungen an Wattwanderungen, Sandburgen bauen und Drachen steigen lassen. Es hat sich tief in mir eingeprägt und noch heute fühle ich mich am Meer sofort geerdet, ruhig und irgendwie geborgen. Obwohl ich weiß, dass es alles andere als Geborgenheit schenkt. Es kommt und geht, ist wild und gefährlich und unberechenbar. Diese Gegensätze sind womöglich Teil der Faszination.
Ich wollte also dieser Liebe zum Meer in mir in meiner Malerei Ausdruck verleihen. Eines Tages fuhr ich auf eine Malreise nach Apulien mit der festen Absicht, dieses Mal meine Bilder in den Farbtönen der Nordsee-Eindrücke und der Stimmung malen. Blautöne wie aquamarin, hellblau, türkis, grün wie das saftige Gras der Wiesen im Hinterland, sandfarben und blassgrün wie die Dünen und der Strandhafer und alle Schattierungen von grau – das hatte ich im Sinn. Und schließlich fuhr ich ja ans Meer…
Casa Ilona in Apulien und unser Arbeitsplatz im Schatten
Nicht zum ersten Mal war ich zu Gast in der
Casa Ilona zu einer Malwoche mit neuen Impulsen und viel Spaß mit Freundinnen. Unter einem Sonnenschutz richteten wir unsere Arbeitsplätze ein und freuten uns auf expressive Farbschüttungen unter der spätsommerlichen Sonne Apuliens, die Grundlage bilden für die spätere Ausarbeitung von Motiven.
Die Anfänge: vielversprechend
Ich begann mit einer satten dunkelgrünen Grundierung und wollte mich von dort in die gedeckteren Schattierungen vorarbeiten, um dem Ganzen Lebendigkeit zu verleihen. Es folgte ein blasses grün.
Wie schon die Jahre zuvor war der Prozess der Bildentstehung immer derselbe. Auf eine farbige Grundierung folgen Schichten geschütteter Farbe. Man kann den Aufbau nach verschiedenen Vorlieben gestalten. Ich begann zunächst Ton in Ton mit Grüntönen in unterschiedlicher Farbintensität. Als nächstes habe ich eine große Menge türkiser Farbe über die Leinwand gekippt.
So weit so gut. Allerdings hatte ich den Plan ohne die Sonne Apuliens gemacht…
Was soll ich sagen: ich bin grandios gescheitert mit meinem ursprünglichen Plan.
Die Stimmung des Moments bestimmt das Bild – bewusst oder unterbewusst.
Plötzlich anders abgebogen
Ich liebe diese Phase der Bilder. Es ist noch alles möglich. Wenn ich ansehe, was da ist und genau weiß, welche Farbe das Bild als Nächstes braucht, steigt dieses aufgeregte Kribbeln in mir auf. Ich kann es kaum erwarten, den richtigen Farbton anzumischen. Dann wiederum gebe ich mich dem Fluss der Farbe hin, dem ich eine Richtung geben kann durch Neigen der Oberfläche. Sobald ich aber eine zweite Flüssigkeit einsetze, oder ein Spray, oder wenn bereits Strukturen auf der Oberfläche sind, ist es immer auch teilweise dem Zufall überlassen was passiert.
So viele Faktoren spielen eine Rolle: Die Mischung aus Pigment, Wasser und Binder bestimmt den Fluss der Farbe, die Temperatur, in Apulien die Sonneneinstrahlung, der Neigungswinkel der Leinwand und die Struktur des Untergrundes. Bei zwei Komponenten kommen weitere Aspekte zum Tragen. Spätestens dann befinde ich mich wieder in diesem alchemistischen Experiment, dass mir so viel Spaß macht.
Nach einigen Schichten mache ich mir Gedanken über Motive und Vorlagen und schaue anhand der entstandenen kompositorischen Elemente Flächen und Linien, Kontraste und Strukturen, wie ich das Motiv auf der Leinwand platzieren möchte.
Ich war so im Fluß und habe intuitiv eine Farbe nach der anderen ergänzt und eine spannende Oberfläche geschaffen, dass ich die ursprüngliche Intention aus den Augen verloren hatte. Eh ich mich versah hatte ich ein abstraktes Bild mit Formen und Farben geschaffen, das weit weit weg war von einer Nordsee-Stimmung. Anstelle von gedeckten Farben im grau-blau-grün Spektrum lag vor mir ein intensiv leuchtendes Bild, in dem korallenrot die Hauptrolle spielt.
Was war also passiert?
Ich bin völlig abgetaucht in den Prozess und habe meiner Intuition freien Lauf gelassen, ohne schon an eine Komposition oder ein Motiv zu denken. Der nächste Schritt ergibt sich jeweils aus dem vorherigen. Ich reagiere auf das, was da ist.
Ich habe drei mögliche Erklärungen für dieses letztlich lustvolle Scheitern:
Erstens: Möglicherweise hat eine Rolle gespielt, dass ich parallel an mehreren Hintergründen gearbeitet habe. Tatsächlich greife ich oft zu Komplementärfarben. Dieser Kontrast erzeugt eine lebendige Spannung. Dabei mag ich besonders das gebrochene Komplementär, weil ich die Farbkombinationen wiederum als harmonisch empfinde und so eine gute Balance zwischen Gegensatz und Harmonie schaffen kann. Neben dem „Korallenbild“ sind
Portraits in rot und pink auf einem hellgrünen Untergrund entstanden.
Es bietet sich auch an, gleiche oder ähnliche Farben in einer Serie zu verwenden, wenn man parallel arbeitet. Zudem ermöglicht das eine gute „Resteverwertung“ von angemischten Farben. Ich habe zu diesem Bild allerdings eine andere Theorie:
Zweitens: Mich beeinflussen Licht und Klima sehr. Die Jahreszeit und die Temperatur wirken sich auf meine Energie, mein Körpergefühl und den Tagesablauf aus. Ganz besonderen Einfluss hat aber die Lichtsituation. In Apulien sind wir mehr als 1.800 km von zuhause entfernt. Abends wird es früher dunkel und selbst im September hat die Sonne tagsüber noch eine enorme Kraft und die Temperaturen liegen bei 30°C und darüber. Die Hitze und die intensive Helligkeit provoziert leuchtende Farben. Der blaue Himmel spiegelt sich im Meer und das klare Wasser lässt den sandigen Untergrund durchscheinen. Das Mittelmeer hat eine ganz andere Farbe als die Nordsee. Offenbar haben der Ort und die Stimmung des Moments meine Farbwahl im Unterbewusstsein stark beeinflusst.
Als ich das bemerkt habe und mir das Ergebnis gefiel, habe ich beschlossen, meinen ursprünglichen Plan aufzugeben. Also frei nach John Lennon:
Art is what happens while you are busy making other plans.
Drittens: Ein weiterer Gedanke, wie es zu dem „Korallen-Bild“ kommen konnte, ist dass ich schon seit langem einmal nach Neuseeland möchte. Sicher sprachen wir in der Woche auch über Reiseziele und unsere Träume. Vielleicht hat mein Unterbewusstsein da mit rein gefunkt. Auf alle Fälle aber hat mich die Form an einen Riesenkraken denken lassen und so ist das Bild zu seinem Titel „Der Rote“ gekommen, dem gleichnamigen Roman, der mich einmal sehr gefesselt hat.
Fazit: der Stimmung nachgeben und Gefühle sprechen lassen!
Auch wenn die drei Aspekte alle eine Rolle gespielt haben können, hat mich der Einfluss des Lichts und auch meiner individuellen Stimmung auf die Bilder seitdem nicht mehr losgelassen und ich versuche, das gezielt einzusetzen.
Malerei ist Gefühl pur. Selbst für einen Kopfmenschen wie mich. Deshalb tut es mir so gut, darin einen Ausgleich zu finden. So hat diese Erkenntnis seitdem meine Arbeit beeinflusst:
- Seit ich mir dessen bewußt bin, höre ich in mich hinein, in welcher Stimmung ich bin und welche Farben ich möchte
- Wenn ich umgekehrt bestimmte Farbklänge spüre und möchte, suche ich die Bilder heraus, die diese schon beinhalten und arbeite an ihnen weiter
- Ich kann meine Stimmung beeinflussen durch das Hervorholen innerer Bilder, das Stöbern in Büchern oder Bildvorlagen mit entsprechenden Farben und die Auswahl von Musik
- Wenn Bilder über einen längeren Zeitraum entstehen, werden sie von anderen beeinflusst, die in der Zeit gleichzeitig wachsen – das macht sie lebendig, vielschichtig, nicht so eindeutig – und damit interessant
Neuer Versuch an der Nordsee
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