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Horst Janssen - Magier der Linie (Künstlerportrait Teil 1)

Claudia Brasse • 17. Januar 2024

Horst Janssen - ein Künstlerportrait in zwei Teilen

Horst Janssen (1929-1995), der begnadete Zeichner und Grafiker, Aquarell- und Druckgrafik-Künstler hat mich früh beeindruckt. Seine Kunst begeistert mich noch heute und sein Einfluss auf meine Arbeit ist vielleicht subtil aber sicher vorhanden. Ich gehe dem hier in zwei Teilen eines Künstlerportraits nach.


Teil 1: Horst Janssen - Magier der Linie


1.     Horst Janssen macht Eindruck

2.     Horst Janssen – Genie und Wahnsinn vereint

3.     Seine Motive: einerseits alltäglich und banal und andererseits aktuell und politisch

4.     Am Anfang war der Strich

5.     Sein Vermächtnis und Aktualität heute

6.     Literatur zum Weiterlesen


Horst Janssen gilt heute als einer der bedeutendsten Zeichner des 20. Jahrhunderts. Es wurde viel über ihn geschrieben, vor allem zu Lebzeiten. Und auch er selbst hat geschrieben. Beides bestimmt heute mein Bild von ihm als Mensch. Sein Werk natürlich nicht minder; man könnte es fast als Biographie lesen.

 

Seine obsessiven Bemühungen um Perfektion und seine unvergleichliche Fähigkeit, das Wesen der dargestellten Personen einzufangen, haben ihn zu einem einzigartigen Künstler gemacht. Heute werden seine Werke weltweit ausgestellt und geliebt. Janssens Zeichnungen sind nicht nur technisch beeindruckend, sondern auch von einer tiefen Menschlichkeit geprägt, die den Betrachter berührt.


Ich habe schon früh in meiner Jugend einen Zugang zu ihm gefunden und bin ihm immer wieder „begegnet“: in meinen verschiedenen Lebensabschnitten mit unterschiedlicher Wahrnehmung.


In diesem Jahr bin ich zweimal auf ihn gestoßen: Auf der Art Karlsruhe im Mai, wo Galerie und Verlag St. Gertrude eine Auswahl seiner Zeichnungen und Radierungen präsentierte. Und dann kürzlich beim SchuhDoc Pütz in meinem Veedel Braunsfeld, wo ich gerade meine „Wunderwerke“ Füße Bilder zeige. Als ich die Füße Bilder 2022 malte, hatte ich lange nicht an Horst Janssen gedacht, aber wer weiß, ob sein Einfluss in meinem Unterbewusstsein nicht fortwährend sein Wesen treibt?!


Ich möchte das zum Anlass nehmen, Horst Janssen zu würdigen und noch einmal tiefer einzusteigen.



Art Karlsruhe 2023: St. Gertrude präsentiert Horst Janssen, Horst Janssen Plakat Schuh-Zeichnung bei SchuhDoc Pütz in Köln und meine Ausstellung der "Wunderwerke" Füße Bilder dort


2. Horst Janssen – Genie und Wahnsinn vereint

Je nachdem, was man als erstes von ihm zu sehen bekommt, ergreift einen eine düstere Landschaft im Norden, der morbide Charme von welkenden Blüten, seltsamen Stillleben oder toten Tieren. Oder man ist fasziniert von den skurrilen, wilden oder ironischen Selbstportraits oder angezogen von zarten Zeichnungen seiner Geliebten und Musen, aus denen große Zärtlichkeit spricht.


Wähle ich meine Worte, um ihn zu beschreiben, fallen mir folgende ein: einsamer Wolf, Sezierer, eitler Fatzke, Hypochonder, Chronist, alternder Mann, Hilferufender, geiler Bock, besessener Zeichner und talentierter Regelbrecher, Ignorant, Ironiker. Immer ein aufmerksamer Beobachter. Die Liste zeigt bereits, wie nahe Genie und Wahnsinn beieinander liegen. Wie genial er war, haben schon viele herausgefunden. Wer sich getroffen fühlte, provoziert oder abgestoßen, mag das anders gesehen haben.


Ich sehe auf jeden Fall seine innere Zerrissenheit, das ewige Suchen, die Leidenschaft und Hingabe. Der Widerspruch zieht mich an und seine Technik, Motive und sein Stil faszinieren mich bis heute.


3. Seine Motive - einerseits alltäglich und banal und andererseits aktuell und politisch

Düstere Zeiten, düstere Stimmungen


Horst Janssen wird 1929 geboren und wächst in schwierigen Zeiten im zweiten Weltkrieg auf. Er findet früh Trost in der Zeichnung, die er autodidaktisch für sich entwickelt. Er wächst in Oldenburg unter Frauen auf. Tantchen ist eine frühe und prägende Bezugsperson für ihn und findet sich von Anfang an in seinen Zeichnungen. Als begabter und kreativer Lehrling der Druckkunst findet er seinen eigenen Weg und neue Ausdrucksmöglichkeiten. Seine innovativen Ansätze in der Radierung werden entdeckt und gewürdigt. Dies bringt ihm Auszeichnungen und Stipendien ein und ermöglicht seine individuelle Weiterentwicklung. Durch wachsende Anerkennung wird er zum Vorbild für andere: Horst Janssen hat der Zeichnung neue Bedeutung als eigenständige Kunstform verliehen.


Später lebt er in Hamburg, eher zurückgezogen, mit wenigen Freunden. Frauen spielt eine zentrale Rolle in seinem Leben, wenn auch nicht alle lange bleiben.


Seine Motive findet er in seiner Umgebung und Inspiration in Literatur und Kunst, die er nach eigenen Worten „kopiert“ = interpretiert, quasi als Ritterschlag und Zeichen seiner Bewunderung.


Extreme der Gefühle, lichtvolle Liebe


Den Krieg selbst thematisiert er nicht. Seine Landschaften und Stillleben eint aber eine düstere Stimmung. Wählt er für seine Norddeutschland Bilder vorwiegend Herbst und Winter Beobachtungen mit tiefhängenden Wolken und knorrigen, blätterlosen Krüppelweiden aus, so verleiht auch die Wahl von Tusche und Feder oder der flächige Auftrag von Bleistift und Farbstift den Zeichnungen eine dunkle Dichte.


Aus Schilderungen seiner Wegbegleiter und -begleiterinnen und auch seinen eigenen Texten wissen wir, dass seine eigenen Stimmungen oft dunkel sind.

 

Er zeichnet, was ihn umgibt, was er sieht, was er fühlt. Sein Alltag, die Schönheit und Vergänglichkeit von Dingen, seine Liebesbeziehungen, Freundschaften und ihm nahestehende Personen inspiriert ihn. Man sieht in all seinen Arbeiten, wie er diese mit Liebe betrachtet. Seine hier feinen und da kraftvollen und lebendigen Portraits und Figuren spiegeln seinen empathischen und virtuosen Zeichenstil. Er fängt Situationen, Stimmungen und Gefühle auf einzigartige Weise ein. Seine Zeichnungen strahlen Sinnlichkeit aus und erfassen manchen flüchtigen Moment.


Horst Janssens Motive: Blumen, Landschaft, Portraits, Selbstportraits sowie Plakate, Schriftkunst uvm; Bildnachweis: eigene Fotos von Horst Janssen Büchern, siehe Literatur


Manchmal überwiegt auch eine unbarmherzige Nüchternheit, vor allem wenn es um seine Selbstbetrachtung geht. Selbstportraits sind ein durchgehendes Thema in Janssen’s Kunst. In diesen lässt sich seine innere Zerrissenheit erkennen und sein Hadern mit sich und dem Leben. Vergänglichkeit und Altern, Verfall und Tod sind in seinen Motiven allgegenwärtig: welkende Blüten, tote Vögel, kaputte Schuhe erfasst er in atmosphärischen Stillleben. Jugend und Alter sind in seinen Portraits präsent. Er beschönigt nichts und betrachtet doch stets alles und jeden mit liebevollem Blick.


Ironie und Provokation als Stilmittel


Janssen gibt Zeitgeist, politischen und sozialen Themen mit seiner individuellen Handschrift einen eigenen Raum in der Zeichnung. Er eckt an mit Motivwahl und teils offensichtlichen, teils versteckten Provokationen und den vielschichtigen Bedeutungsebenen von seinen detaillierten Szenerien.

 

Tod, Abstoßung, Verstörung sind ihm nicht fremd. Wenn er darin nicht das Schöne zum Ausdruck bringt, spielt er mit Ironie und Sarkasmus. Dazu verwendet er oft Sprache – Notizen, Anmerkungen und Symbole werden zu integralen Elementen seiner Zeichnungen.


Janssen’s Werk vereint Zeitgeist und Zeitlosigkeit in einem.

 

Die Plakate zu seinen Ausstellungen gestaltet er selbst. Wort und Schrift spielen auch in Illustrationen eine Rolle. In seiner Korrespondenz wiederum finden sich stets kleine Zeichnungen, manchmal Cartoons.


Horst Janssen während der Zeichnung eines Plakatentwurfs '' Doppelkopf'' in Hamburg, Bildnachweis: MoSchle, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons


Die Zeichnung ist für Janssen auch eine Möglichkeit, sich mit der Welt auseinanderzusetzen und seinen Platz darin zu finden. Seine Werke spiegeln seine Sicht auf die Gesellschaft wieder und stellen oft kritische Kommentare zu politischen und sozialen Themen dar. Janssen nutzt die Zeichnung als Medium, um seine Gedanken und Ansichten mit der Welt zu teilen und zum Nachdenken anzuregen.


Sein oft schonungsloser Blick wurde oft als provokativ und verstörend empfunden und stieß auf Ablehnung und rief häufig Widerstand hervor.


4. Am Anfang war der Strich

Genialer Ausdruck mit den geringsten Mitteln


Horst Janssen verwendet Bleistift und Kohle, Buntstifte, Feder und Tusche. Als Kind ist er zunächst Autodidakt und lernt später an der Kunstakademie in Hamburg. Einen Übergang von der Zeichnung ins Malerische findet sich dort, wo er sehr flächig arbeitet. Vielfach laviert er seine Bleistift- und Tuschezeichnungen. Manches hat fast illustrativen Charakter oder wirkt Cartoon-artig. Janssen bezeichnet sich selbst stets als Zeichner.


Man könnte fast meinen, der Bleistift sei ihm festgewachsen.


Das macht ihm keiner abspenstig. Was er außerdem perfekt beherrscht, ist die Komposition. So zufällig oft seine auch auf Schnipsel gehuschten Skizzen aussehen: jedes Detail zählt. Die Effekte von Licht und Schatten spielt er virtuos aus.


Er setzt klassische Techniken wie Schraffur, Kreuzschraffur und Lavur ein und bricht mit Konventionen und mischt Medien und Materialien auf kreative, damals innovative Weise. Er experimentiert, kombiniert, quält das Material und lotet die Grenzen aus. So erreicht er ein interessantes Zusammenspiel von Effekten, das er konstant weiter entwickelt zu seinem einzigartigen Stil. Heute würde man es mixed media nennen.


Respektlosigkeit und Experimentierfreude in der Radierung


Diese Ideen überträgt er auf die Radierung. Er nutzt sie, ohne sich durch Traditionen, Konventionen oder andere Grenzen beschränken zu lassen und entwickelt Techniken weiter - akribisch im Detail, kreativ im Ausdruck. Seine Kooperation mit dem Drucker Alfred Frielinghaus ist geradezu kongenial und führt zu einer langen und respektvollen Freundschaft.


Für Horst Janssen zählt jeder Strich. Er nutzt die Alchemie in der Aquatinta Technik, und setzt damit organische Formen den grafischen Linien und der Schraffur mit der Kaltnadel entgegen. Ergänzt durch andere Drucktechniken wie Holzschnitt und Lithographie spielt Horst Janssen virtuos auf der Klaviatur der grafischen Möglichkeiten. In seiner Vielfalt und technischen Ausdrucksfähigkeit sucht Janssen’s Werk seinesgleichen.


5. Sein Vermächtnis und Aktualität heute

Die Zeichnung ist für Horst Janssen nicht nur ein Mittel zur Darstellung von Motiven, sondern auch ein Weg zum Ausdruck seiner Gedanken und Emotionen. Janssen betrachtete die Zeichnung als eine Art Tagebuch, in dem er seine Beobachtungen, Träume und Ängste festhielt. Jedes seiner Werke war eine Reflexion seiner inneren Welt und sein Versuch, diese auf Papier zu bringen.


Er fand Trost und Heilung in der Kunst in persönlichen Krisen und bei gesundheitlichen Problemen. Seine Werke spiegeln oft seine persönlichen Kämpfe und inneren Konflikte wider. In seiner Verletzlichkeit und Menschlichkeit bleibt er damit zeitlos – jeder kann sich darin wiedererkennen.


Heute sind Nahbarkeit und Verletzlichkeit mehr denn je akzeptiert, und sogar gewünscht. Sie stehen dem Streben nach Perfektion und dem Höher, Schneller, Weiter entgegen. Einfachheit und Natur lassen uns zur Ruhe kommen. Die profunde Sehnsucht nach Menschlichkeit, Verbindung und Spiritualität sucht ihren Ausdruck. Wir sind heute dabei, Empfindsamkeit, Selbstreflexion und Selbsterkenntnis als Stärke zu begreifen. Janssen hat es stets ausgelebt und war doch wohl so manches mal verzweifelt.


Horst Janssen gilt heute als einer der bedeutendsten Zeichner des 20. Jahrhunderts. Er hat Einfluss auf Generationen von Künstlern gewonnen und bleibt das unvergessene Genie.




Kennst du Horst Janssen und was verbindest du mit ihm?

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Janssen war bereits ein frühes künstlerisches Vorbild für mich. Wie sich sein Einfluss auf mich und meine Arbeit entwickelt hat, kannst du in Teil 2 des Künstlerportraits lesen.


Ausblick auf Teil 2 des Künstlerportraits: Frühes künstlerisches Vorbild Horst Janssen


1.     Meine Entdeckung Horst Janssens und erste Eindrücke

2.     Erste Schritte: Lernen durch Nachahmung

3.     Von Technik begeistert, später vom Gesamtkunstwerk Janssen fasziniert

4.     3 Dinge an Horst Janssen, die ich mir zum Vorbild nehmen mag

5.     Noch immer finde ich Inspiration in Janssens Kunst

6.     Gemeinsamkeit im ständigen Hinterfragen

7.     Literatur



Teil 2 lesen

6. Literatur zum Weiterlesen

  • „Ach, Liebste, flieg mir nicht weg: Briefe an Gesche, Horst Janssen, herausgegeben von Gesche Tietjens, Rowohlt Verlag, März 2004, ISBN 3 498 03221 6
  • Horst Janssen – Eine Biographie, Stefan Blessin, B.S. Lillo Verlag, 1998, ISBN 3 89757 000 9
  • Horst Janssen – Zeichnungen, Prestel Verlag 1996, erweiterte Auflage des Katalogs der Albertina Wien Ausstellung 1982, ISBN 3 7913 1693 1
  • Horst Janssen Retrospektive, St. Gertrude Verlag, 2000, ISBN 3 923848 89 7

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